Gesundheits­versorgung

Multimorbidität am Scheideweg: Investition in Menschen?

Status quo


Europa wird älter: Zivilisations­krankheiten kumulieren mit dem Alter.


Chronische Krankheiten, Multi-Morbidität und ihre Vorstufen in Form von vielschichtigen Funktions- und Befindensstörungen wachsen sich zu einer Herausforderung für die Gesundheitsversorgung aus. Die ersten Ausläufer einer nahezu ungebremst rollenden Lawine von medizinischer Vielgeschäftigkeit haben uns erreicht. Eine reparaturfokussierte und allein auf Risiko-Stratifizierung abgestellte Gesundheitsversorgung birgt für eine älter werdende Gesellschaft erhebliche Nachteile: Für die Leistungsträger, für Leistungserbringer mit Qualitätsanspruch und vor allem für die Patienten. So sind derzeit Akkumulationen, Wechsel- und Nebenwirkungen von Medikamenten zur dritthäufigsten Todesursache aufgerückt.

Polymedikation wird zu einer Bedrohung für die Versorgungssicherheit.

Laien vermuten, Experten wissen es

Laien vermuten, Experten wissen es: Der an Einzelindikationen und Einzelindikatoren, Surrogat-Markern und (Alarm-)Symptomen orientierte, nicht-generische Versorgungsansatz von Zivilisations- und Alternskrankheiten ist keine vernünftige Lösung. Er gefährdet die Patientensicherheit. Er ist unethisch. Er ist per se teuer und unwirtschaftlich, verstärkt er doch Über-, Unter-, Fehlversorgung in Diagnostik wie in Therapie. Schaden entsteht vor allem den Patienten: Immer häufiger bedrohen oder limitieren medizinisch unnötige Untersuchungen und Behandlungen deren Lebenserwartung und vor allem deren Lebensqualität.

Tradition in der Alternsforschung

Der Leipziger Internist Max Bürger (1885-1966) gilt als Nestor der Internationalen Alternsforschung. Er begründete 1938 weltweit die erste Zeitschrift für Alternsforschung. In seinem Standardwerk "Altern und Krankheit" (1954) systematisiert er den Inhalt der Wissenschaft vom Altern. An der Klinik für Innere Medizin an der Universität Leipzig baute er das Zentrum für Alternsforschung auf, das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts internationale Bedeutung erlangte.

Dazu gehören auch umfangreiche wissenschaftstheoretische, generische und klinisch-experimentelle Arbeiten: Walter Beier, Norman Bitterlich, Udo Michalak, Dagmar Pöthig, Werner Ries, Andreas Simm, Petra Stute et al. Mit den theoretisch begründeten Begriffen der Vitalität und des biofunktionalen Alters wird interdisziplinär und fachübergreifend der Stellenwert herausgearbeitet, den die Gerontologie im Ensemble der Medizin und Lebenswissenschaften einnimmt.